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Valerij Dem’jankov
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http://www.infolex.ru"Interpretation ist es, was zwischen Mensch und Welt die niemals vollendbare Vermittlung leistet, und insofern ist es die einzig wirkliche Unmittelbarkeit und Gegebenheit, daß wir etwas als etwas verstehen." (H.- G.Gadamer 1984 339).
Die beim Verstehen stattfindenden interpretatorischen Operationen gruppiere ich in Module. Jedes Modul entspricht einer mehr oder weniger elementaren Aufgabe, die nicht immer vollkommen erfüllt werden kann, denn Mißverstehen ist vom Verstehen unablösbar (K.Jaspers 1947 553-554). Dies entspricht dem Begriff der Hermeneutik als universaler Methodenlehre im Sinne Schleiermachers, für den das sich immer wiederholende Mißverstehen ein Faktum war (K.Brose 1985 303), weil der Sinn eines Textes stets individuell ist (J.Disse 1996 137). Es gibt neun Module des Verstehens (V.Dem'jankov 1983).1. "Alles was noch einer nähren Bestimmung bedarf in einer gegebenen Rede, darf nur aus dem dem Verfasser und seinem ursprünglichen Publikum gemeinsamen Sprachgebiet bestimmt werden." (F.Schleiermacher 1838 41).
2. "Der Sinn eines jeden Wortes an einer gegebenen Stelle muß bestimmt werden nach seinem Zusammensein mit denen die es umgeben." (F.Schleiermacher 1838 69).
Aber man darf nicht vergessen, daß verschiedene Sprecher dieselben Wörter auch ab und zu verschieden gebrauchen können. Die Harmonie im Sprachgebrauch ist ein Ergebnis von Zusammenarbeit, von 'Kooperation' der Gesprächspartner. Deswegen kann man, mit Gadamer, das erste Gesetz in dynamischer Perspektive umformulieren:"Jedes Gespräch setzt eine gemeinsame Sprache voraus, oder besser: es bildet eine gemeinsame Sprache heraus. Es ist da etwas in die Mitte niedergelegt, wie die Griechen sagen, an dem die Gesprächspartner teilhaben und worüber sie sich miteinander austauschen. Die Verständigung über eine Sache, die im Gespräch zustande kommen soll, bedeutet daher notwendigerweise, daß im Gespräch eine gemeinsame Sprache erst erarbeitet wird. Das ist nicht ein äußerer Vorgang der Adjustierung von Werkzeugen, ja es ist nicht einmal richtig zu sagen, daß sich die Partner aneinander anpassen, vielmehr geraten sie beide im gelingenden Gespräch unter die Wahrheit der Sache, die sie zu einer neuen Gemeinsamkeit verbindet. Verständigung im Gespräch ist nicht ein bloßes Schauspielen und Durchsetzen des eigenen Standpunktes, sondern eine Verwandlung ins Gemeinsame hin, in der man nicht bleibt, was man war." (H.- G.Gadamer 1960/86 384).
Modul 2. Konstruieren und Überprüfen von Hypothesen über den Sinn der Rede, d.h. Verstehen als Problemlösen Wenn wir die Rede wirklich verstehen, warten wir nicht, bis ein Satz zu Ende ist: das Verstehen entwickelt sich zeitlich parallel zur Rede. Das macht die Kommunikation flexibel, aber die Wahrnehmung der Rede des anderen komplizierter. Man hat stets nicht mit einer, sondern mit mehreren Hypothesen zu tun. Der Sprechende ist immer in Gefahr, etwas nicht rechtzeitig zu sagen, und zwar zu früh oder zu spät. Dadurch entstehen Mißverständnisse, denen man vorbeugen könnte, hätte der Verstehende schon früher das gewußt, was erst später gesagt -154- wurde. Das adäquate Verstehen ist mit dem Aufbau adäquater Hierarchien von konkurrierenden Hypothesen über den Sinn der ganzen Rede verbunden. Wenn man die Rede in einer Fremdsprache interpretiert, konzentriert man sich gewöhnlich (besonders am Anfang des Studiums) auf jedes Wort, man unterscheidet nicht immer richtig das wichtige vom nebensächlichen. Deswegen ist die Zahl der zu testenden Hypothesen beim Anfänger viel größer als beim Muttersprachler. Eine kreative Person ist auch beim Verstehen kreativ, manchmal sogar zu kreativ. Wie auch ein Hermeneut, der bewußt seine Prozeduren durchführt, geht ein Mensch, der etwas zu verstehen versucht, nicht voraussetzungs- und interesselos von einem Vorverständnis des Textes aus, das im Laufe seiner Interpration verändert wird. Sein Vorverständnis wird bestätigt, vertieft oder widerlegt (Jank / Meyer 1991 114). Dabei besteht die Gefahr, daß das Vorverständnis überhaupt den Verstehensprozeß blockiert (Seewald 1992 230). Nietzsches Vorwürfe gegen die Hermeneuten, daß sie, vom Willen zur Macht getrieben, den Sinn "vergewaltigen, zurechtschieben, abkürzen, weglassen, ausstopfen, ausdichten, umfälschen", betreffen auch Vorverständnisse von nicht-Hermeneuten (G.Gruber 1994 14)."Die Welt als Text, als Welt geordneter Verweisungszusammenhänge, ist nicht nur eine Manifestation vorgegebener, vorgedachter Sinnzusammenhänge, sondern gleichzeitig der Ort neuerschlossenen Sinns, der über das Gegebene hinausweist. Dem Menschen ist mit der Sprache die Möglichkeit zur Transzendierung naturgegebenen Seins eröffnet." (Garz, Kraimer 1994 7).
In die Modellwelt investieren wir einen Teil unserer eigenen inneren Welt. Darin besteht gerade die Erschließung der Worte des Gesprächspartners, ohne die Verständigung nicht möglich ist. Deswegen ist das Verstehen eine kognitive Konstruktion:"Wer versteht, kopiert nicht Wirklichkeit, entschlüßelt nicht eine Struktur mit gegebenem, festem Sinnbestand (im Fall des Textverstehens eine linguistische
-155-Struktur), sondern schafft immer auch neue Information, stiftet
oder erzeugt Sinn. Eine konstruktivistische Erkenntnisauffassung (Piaget) nimmt
daher Abschied von der Vorstellung, daß es ein Beobachten ohne einen
Beobachter, ein Feststellen von Wahrheit ohne einen Wahrnehmenden bzw. ein
Verstehen von etwas oder von jemand ohne die aktive, strukturbildende Leistung
einer Person gibt. Das heißt nicht, daß die Darstellung oder Auffassung einer
Gegebenheit durch ein Subjekt beliebig sei und sozusagen in den freien geistigen
Raum hinaus erfolge. Vielmehr bedeutet dies, daß es beim Verstehen kein
Gegebenes schlechthin gibt, sich Verstehensgegenstände nicht 'vor' oder
'außer' ihrer kognitiven Aneignung beschreiben lassen." (Reusser, Reusser-
Weyeneth 1997 16-17).
"In den 30er Jahren dieses Jahrhunderts behauptete T.S.Eliot, die Bedeutung eines Textes sei völlig unabhängig von Willen und Absicht seines Verfassers, gute Dichtung sei per definitionem unpersönlich, objektiv und autonom. W.K.Wimsatt behauptete: Die Intention des Autors sei ohne Relevanz für den Sinn eines Textes. Gleichzeitig diskreditierte er jeden Versuch, die Absicht eines Autors bei einer Interpretation und Bewertung literarischer Werke zu berücksichtigen, als 'intentional fallacy'. In Deutschland propagierte M.Heidegger die These der semantischen Autonomie der Sprache, die unabhängig von der Intention des Sprechenden bestehe. Die Verbannung des Autors aus hermeneutischen Überlegungen zugunsten eines Konzepts der semantischen Autonomie von Sprache verkennt jedoch, daß Sinn ausschließlich eine Angelegenheit des kreativen Bewußtseins ist und nicht den Wörtern eignet, die lediglich als Medium zur Weitervermittlung des Sinnes fungieren." (Ch.Jost 1990 28-29)
-156- Jeder Mensch hat einen eigenen Vorrat von Absichten. Auf verschiedene Weise, bewußt und / oder unbewußt, gruppiert und tarnt man die Absichten in der Kommunikation, was in der Psychoanalytischen "Tiefenhermeneutik" thematisiert wird (J.Belgrad 1996). (Der Dekonstruktionismus zweifelt gerade daran, ob es Grenzen zwischen der Oberfläche und der Tiefe, dem Äusseren und dem Inneren des Textes und des menschlichen Subjekts gibt, vgl. N.Luhmann 1995 13.) Wie erraten wir unendlich verschiedene Absichten? Warum ist man bereit, sich dem Gesprächspartner zu widmen, sei es auch nur auf einen Augenblick? Weil das Verstehen auch ein Vergnügen ist, weil das Verstehen auch der Liebe ähnlich ist. Aber eben deswegen ist der Interpret wählerisch und empfindet verschiedenen Leuten gegenüber nicht die gleiche Sympathie . Die üblichen Intentionen des Publikums, die den Charakter eines Werkes prägen (N.Oellers 1984 126), können die potentiellen Sprecher- oder Autorintentionen beeinflußen ."Die Integration textexterner Daten erfolgt prinzipiell über Bedeutungsbeziehungen (Regel der Semantisierung der Textexterna)." (G.Pasternack 1979 100)
Demselben Zweck dienen auch die vier Interpretationsmethoden von Augustin (in "De utilitate credendi", 391f), die der Tradition im griechischsprachigen Raum entsprechen. Dabei wird überprüft (A.Hoffmann 1997 109-133): - ob die dargestellten Ereignisse tatsächlich "historisch" stattgefunden haben oder "nur" als solche dargestellt wurden ("secundum historiam"), - wie die in ihr berichteten Handlungen bzw. Aussprüche zu begründen sind ("secundum aetiologiam"), - daß das Alte Testament und das Neue Testament miteinander im Einklang stehen ("secundum analogiam"), - wie die "dunklen" Passagen als übertragene Redeweise erkannt werden können ("sedundum allegoriam")."Verstehen (im Unterschied von Erklären) erstreckt sich auf geistige Sachverhalte und schließt unmittelbares Evidenzbewußtsein in sich. Dieses ist nur möglich bei potentieller Produktivität in der Richtung des zu Verstehenden, sei es einer Handlung, eines Gedankens, einer künstlerischen Komposition. Verstehen heißt, irgendwie schöpferisch sein; dabei kommt alles technische Können nicht in Betracht. Gegenstand des Verstehens soll hier das Dasein selbst, d.h. in seiner Einheit sein; denn nur aus der Einheit heraus wird verstanden." (D.Bonhoeffer 1931 24)
-158- Beim Textverstehen wird man informationell reicher, wenn auch die Zahl der widerlegten Meinungen größer ist, als die Zahl der neu eingetragenen Informationen. So kann z.B. eine Episode, die unsere Kenntnisse nicht beeinträchtigt, d.h. nichts Neues über die Umwelt oder Meinungen unserer Gesprächspartner hinzufügt, ohne Verlust aus unserem Leben gestrichen werden. Die Module 6 und 7 entsprechen dem, was man als "Verstehen als 'Sehen' von Zusammenhängen" charakterisiert. Der von der Data-Base bestimmte Erkenntnishorizont charakterisiert nicht nur ein Individuum, sondern auch eine historische Epoche (vgl. H.Hübner 1995 111).Alwart, Heiner: Recht und Handlung: Die Rechtsphilosophie in ihrer Entwicklung vom Naturrechtsdenken und vom Positivismus zu einer analytischen Hermeneutik des Rechts. Tübingen 1987.
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